Von Mensch, Macht, Kunst und Fliege

Georg Flegel: Stilleben mit Zwergpapagei, Spanschachtel, Früchten und Fliege um 1630, Malerei, 15,4 x 21,3 cm

Die Fliege - Insektenheld oder lästiger Störenfried? Diese kleinen, aber mächtigen Wesen haben es faustdick hinter den Flügeln! Entdecke im neuen Gastbeitrag, wie Fliegen die Machtverhältnisse umdrehen, Prominente aus der Fassung bringen und sogar die Kunstwelt auf den Kopf stellen. Bereitet Euch auf eine unerwartete Reise durch die faszinierende Welt der Fliegen vor, Ihr werdet überrascht sein , was diese winzigen Krabbler alles draufhaben. Fliegenfans aufgepasst, hier kommt der ultimative Fliegenfaktor!

Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen und bedanken uns bei Jan für diesen spannenden Beitrag!

Anjelika & Karina

Kulturinfluencerin. Wie ein Wesen mit denkbar schlechter Lobby unsere Kultur mitgestaltet

Kaum ein Wesen aus unserer direkten Umgebung ist so ambivalent wie die Fliege. Zumindest aus einer menschlichen Perspektive betrachtet. Auf der einen Seite ist sie verachtet, lästig, verfolgt und gilt als Krankheitsüberträgerin. Es gibt eine ganze Industrie, die sich ihrer Vernichtung verschieben hat. Auf der anderen Seite sind Vertreter der mehr als 3000 Fliegenarten allein in Deutschland, wichtige Bestäuber, Genetik und ihre Erkenntnisse wäre ohne sie nicht denkbar und die Gerichtsmedizin greift gerne auf ihre Hilfe zurück. Zusammengefasst, denkbar schlechte Lobby aber ziemlich wichtig. In diesem Artikel soll auch eine dieser Wichtigkeiten im Mittelpunkt stehen. Aber nicht die bereits erwähnten. Es wird um Kultur- und Kunstrelevanz gehen und wie die Fliege unser Denken und Wahrnehmen, und damit unsere Kultur, beeinflusst. Ja genau, die Fliege. Am Ende dieses Artikels werden Sie sie, selbst wenn Sie bereits zu den Fliegenfreunden gehören sollten, mit anderen Augen betrachten, versprochen.


Die Fliege in der Kunst- und Kulturgeschichte

Bereits in der Antike ist die Fliege hier und da zu finden bzw. über sie zu lesen. Meist in satirischen Zusammenhängen. Zumindest ist sie präsent, auch damals schon. Wir kommen später noch einmal darauf zurück.

In der bildenden Kunst bekommt sie in der christlich-mittelalterlichen Malerei erstmals einen „Auftritt“. Zwar wurde die Fliege von den Christen konsequenter Weise in die Familie der Geschöpfe Gottes aufgenommen, jedoch blieb sie eine „Plage“ und musste als Sinnbild für Sterblichkeit, Verderblichkeit und Sünde herhalten. Das Wort „Beelzebub“ beschreibt übrigens den Teufel in Gestalt der Fliege. Das personifizierte Böse als Herr der Fliegen. Das Teuflische und die Fliege sozusagen in Personalunion. Keine gute Ausgangslage für ein gutes Image.

In der Renaissance entwickelte sich dann die Mode Fliegen möglichst naturgetreu, gewissermaßen als optische Täuschung, in Gemälde einzufügen (Trompe-l’œil-Fliege). Dies geht wohl auf eine Legende aus Italien zurück. Sie erzählt davon, wie ein Schüler des Malers Cimabue unerlaubterweise eine Fliege auf eine von dessen Figuren malte, die so echt wirkte, dass der Meister sie irritiert verscheuchten wollte.

In der Epoche der Aufklärung und Klassik hatte die Fliege dann ihren nächsten Auftritt in der Kunst. Es kam wieder zu vermehrten Darstellungen der Fliege, diesmal allerdings mit Hilfe von Mikroskopen aus einer wissenschaftliche Perspektive. Ob die Menschen damals bei diesen vergrößerten Darstellungen fasziniert oder angeekelt waren, bleibt offen.

Im 20. Jahrhundert versucht sich die Fliege natürlich auch im Film. Kurt Neumann dreht 1958 „The Fly“ gefolgt von zwei Fortsetzungen und einem Remake von David Cronenberg 1986. Die Fliege hat es zum Filmstar geschafft. Im Science-Fiction- Horror-Genre, wo sonst!

 

Im frühen 21. Jahrhundert wird es vielschichtiger. Die Bandbreite reicht von den umstrittenen Installationen „A Hundred Years“ und „A Thousand Years“ von Damien Hirst, die den Tod ihrer hauptdarstellenden Fliegen in Kauf nahmen, bis hin zu Kunstaktionen wie „Die Fliege Erika“ des Künstlerduos Frank und Patrik Riklin, die eine Fliege mit eigenem Flugticket in ein Wellness Hotel begleiteten und so die Frage nach dem Wert einer Fliege und ihres Lebens aufwerfen. Und jetzt, heute? Mehr dazu am Ende dieses Artikels.

Die Fliege und ihre heimliche Supermacht

In der Kunst hat sie also ihre Plätze. Wer hätte das gedacht. Klein, unscheinbar, meist durch menschliche Ignoranz gestraft aber trotzdem da, immer wieder. Apropos immer da. Es gibt Fliegenarten, denen wir nur schwer entkommen könnten, selbst wenn wir es wollten. Einige Vertreter der Fliegen bzw. Brachycera, tragen ihre weltweite Verbreitung sogar in ihrem Namen wie die „Kosmopolitische Schmeißfliege“ (Calliphora vicina). Auch die bekannte Fruchtfliegenart Drosophila melanogaster und die Stubenfliege (Musca domestica) haben es sich, mit Hilfe des Menschen , global gemütlich gemacht.

Von der Kunst aber mal abgesehen, schafft es die Fliege auch noch weit mehr sich in unsere Kultur „hineinzusurren“ als es den meisten von uns bewusst sein mag. Sie hat eine ganz besondere Supermacht. Sie beherrscht die Kunst der Machtumkehr und ist damit eine latente aber unerbittliche Kulturbeeinflusserin. Hier einige Beispiele, wie die Fliege das fertigbringt.

Der griechische Gott Myiagros hatte die Hauptaufgabe Fliegen von Opfergaben an seine Götterkolleg:innen fern zu halten. Irgendwann ging diese Aufgabe dann an den Chef, Zeus, über. Myiagros´ Leistung war wohl nicht sonderlich überzeugend. Ob Zeus erfolgreicher war? Wohl kaum. In diesem Fall zeigte die Fliege den Göttern selbst die Grenzen ihrer Macht auf, unbarmherzig, aufdringlich und konsequent. Ob sie damit wohl zu einer Mitinitiatorin der irgendwann einsetzenden Götterdämmerun wurde? Warum einen Gott verehren, der sogar bei Fliegen versagt?


Eugenius von Palermo (12. Jh.) schreibt in „Muscae Vituperatio“ (Fliegentadel): „Auch wenn sie sich auf gekrönte Häupter setzt, ist sie von Natur ein Tier, das sich unablässig in der Fäulnis von Kadavern wälzt...“ Die Fliege ist dreckig und abscheulich und setzt sich trotzdem auch auf das gekrönte Haupt. Wie kann sie es wagen? Sie bringt mit ihrer dreisten Anwesenheit und Inbeschlagnahme das gesalbte Haupt mit Fäulnis und Verwesung in Kontakt. Anders ausgedrückt: Nicht einmal ein König, eine Königin, kann sich dagegen wehren, egal wie groß die Macht auch sein mag. Dies wird dem aufmerksamen Untertan nicht entgangen sein.

Auch großen Philosophen blieb die störende Aufdringlichkeit nicht verborgen. In „Parerga und Paralipomena“ ist von Schopenhauer zu lesen: „Zum Symbol der Unverschämtheit und Dummdreistigkeit sollte man die Fliege nehmen. Denn während alle Thiere den Menschen über Alles scheuen und schon von ferne vor ihm fliehen, setzt sie sich ihm auf die Nase.“. Vor der Krone der Schöpfung haben also alle „Thiere“ Angst und Scheu, nur diese kleine Fliege nicht.

Und Heute? Sie hat sich weiterentwickelt, ist mit der medialen Zeit gegangen und weiß diese zu nutzen. Ganz Medienprofi unsere kleine Fliege. Bei einem CNBC- Interview 2009 erschlägt Barak Obama vor laufender Kamera eine Fliege, wirkt sichtlich genervt aber stolz auf seine Tat. In den auf das Interview folgendem medialen Echos ging es nur am Rande um die politischen Inhalte. Die Fliege und der Fliegenmord standen im Mittelpunkt. Obama war sich der heimlichen Entlarvungsmacht der Fliege wohl nicht bewusst, sonst hätte er sich sicherlich souveräner bzw. entspannter verhalten. Eine Fliege entlarvt den vermeintlich mächtigsten Mann der Welt als profanen und nur bedingt souveränen Menschen im Angesicht einer Fliege. Hier drängt sich ein Zitat des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti auf: „Die Zerstörung dieser winzigen Geschöpfe [Fliegen] sind die einzigen Akte der Gewalt, die auch in uns ungestraft bleiben. … Sie sind, wenigstens bei uns im Westen ins … Reich der Menschlichkeit nie einbezogen worden. Sie sind in einem Wort vogelfrei: fliegenfrei wäre besser dafür“. Die Fliege als latentes Spiegelbild unserer Moral. Aber dieses wäre ein Thema für einen anderen Artikel.


Der ehemaliger US-Vizepräsident Mike Pence, wird in einer Wahlkampfdebatte ebenfalls von einer Fliege vorgeführt. Eine junge Stubenfliege setzte sich auf die perfekt arrangierten und gut sitzenden Haare des Politikers. Von ihm unbemerkt verharrt sie dort eine Weile. In den Tagen darauf wurde über die Fliege prominent und ausgiebig berichtet. Mal ganz abgesehen von den unzähligen Kommentaren, Mems und kreativen Kuriositäten in den Social Media. Die politischen Aussagen Pences waren so schnell aus dem Bewusstsein der Zuschauenden verschwunden wie eine Fliege im Studiowind…

Die Fliege beherrscht die Kunst alt hergebrachte Gewissheiten und Autoritäten in Frage zu stellen. Sie widersetzt und entzieht sich unserer Weltordnung, unseren Regeln, Gewohnheiten und Konventionen. Das macht sie zu einem ungefragten und meistens ungebetenen Wahrheitsbringer, Offenleger und Vorführer. Sie deckt auf, dass wir am Ende alle Teil dieser Natur sind und ihr untergeordnet bleiben, egal wer wir sind und wie viel Macht wir besitzen. Dies macht sie zu einem, wenn auch unfreiwilligen, Bestandteil unseres Kulturuniversums und gestaltet dieses mit.


Kunst und Fliege heute. Eine „heilige“ Perspektive

Kunst ist Spiegel unseres Denkens und Handelns. Kunst ist Bewusstmachung und Inspiration für Weiteres. Dies ist meine tiefste Überzeugung. Und so ist es auch meine Überzeugung, dass die Fliege weiterhin einen Platz in unserer Kunst und Kultur haben muss. Allein schon, um die Supermächte, Relevanzen und Faszination, die diese kleinen Mitlebewesen ausstrahlen, abzubilden, zu feiern und präsenter zu machen. Denn was wir wahrnehmen, werden wir wertschätzen und was wir wertschätzen, werden wir schützen. Dies ist dann auch die Grundintention meiner persönlichen künstlerischen Auseinandersetzung mit der Fliege und ihrem Platz in der Kunst heute und so entstand das Projekt „Sancta Musca“. Die erste heilige Fliege der Kunstgeschichte.

Der Kunsthistoriker Peter Geimer befasst sich in seinem Buch „Fliegen, ein Portrait“ u.a. auch mit der Darstellung der Fliege in der christlichen Kunst. Gegen Ende seiner Betrachtung stellt Geimer fest, dass es bei der ganzen „Heiligkeit“ der betrachteten und dargestellten Kunstwerke kein einziges gibt, in welchem auch die Fliege mal einen Heiligenschein abbekommen hätte. Dieses wäre dann auch wohl ein Sakrileg gewesen, so Geimer. Vor dem Hintergrund der kultur- und kunsthistorischen Leistung der Fliege war es also Zeit für die „Sancta Musca“, die „Heilige Fliege“ in der Kunst. Damit wäre die Fliege endlich auf kunsthistorischer Augenhöhe mit dem Menschen und ihr also die wohlverdiente Aufmerksamkeit, Anerkennung und so die wichtige Wertschätzung sicher. So meine Gedanken beim Lesen Geimers Textes.

Dadurch inspiriert und motiviert entstand Ende 2022 dieses kleine Gemälde (20 x 15cm) einer Goldfliege mit Heiligenschein. Ölfarbe und Blattgold. Die erste „Heilige Fliege“ der Kunst- und Kulturgeschichte, wie ich zu behaupten wage. Die Darstellungsart und das Nutzen von Blattgold sollen dabei bewusst an Ikonenkunst erinnern. Dieses Urbild wiederum ist Ausgangspunkt für eine ganze Reihe an Arbeiten rund um das Thema der „Heiligen Fliege“.


Dies ist ein Beitrag dazu die Fliege als das wahrnehmen, was sie ist: faszinierend, ebenbürtig, erkenntnisbringend. Sicherlich wird sie sich nichts aus ihrer von mir verliehenen Heiligkeit machen aber es soll ein Sinnbild sein diejenigen mit Achtung und Interesse zu betrachten, die es verdient und nötig haben. Ein Wesen, welches nicht nur ökologisch und als Highperformerin im Bestäubungsbusiness existentiell wichtig für die Natur und uns Menschen ist, sondern auch Betrachtungs- und Erkenntnisräume eröffnet und unsere Kultur damit mitgestaltet. Also, lasst uns mehr Fliege wagen!

Berlin im Juni 2023

Jan Olschewski

www.janolschewski.de

Kunst und Kaviar